Donnerstag, 2. Juli 2015

Was Flüchtlinge durchmachen müssen: JEMEN

(Sanaa, Human Rights Watch) – Schlepper halten afrikanische Migranten im Jemen in Internierungslagern fest und foltern sie, um Lösegelder von ihren Familien zu erpressen. Das geschieht mit Unterstützung lokaler Beamter, so Human Rights Watch in einem Bericht. Manchmal endet die Folter tödlich. Die jemenitische Regierung soll umfassende Ermittlungen gegen die Menschenhändler und Sicherheitskräfte einleiten, die an den Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind.

Der 82-seitige Bericht „‘Yemen’s Torture Camps’: Abuse of Migrants by Human Traffickers in a Climate of Impunity.“ dokumentiert das Leid der Migranten, die überwiegend aus Ländern am Horn von Afrika stammen und Yemen durchreisen, um in Saudi Arabien zu arbeiten. In der Grenzstadt Haradh, in der Dutzende Lager existieren, und an Kontrollpunkten ermöglichen verschiedene jemenitische Sicherheitsbehörden, dass der Menschenhandel ohne größere Eingriffe der Regierung floriert.

„Schlepper halten afrikanische Migranten in ‚Folterlagern‘ fest, um ihren in größter Armut lebenden Familien Geld abzupressen“, sagt Eric Goldstein, stellvertretender Leiter der Abteilung Naher Osten. „Wenn man sich ansieht, wie die Schlepper ihre LKWs im Stadtzentrum von Haradh mit Menschen beladen, dann wird deutlich, dass die Regierung wegsieht.“

In den kommenden Wochen wird das jemenitische Parlament ein Gesetz gegen Menschenhandel diskutieren, das den Schutz von Migranten verbessern und die Strafverfolgung von Menschenhändlern und beteiligten Beamten vereinfachen könnte. Der Gesetzesentwurf soll internationalen Standards entsprechen und Menschenhandel kriminalisieren. Auch soll er die Möglichkeiten der Regierung verbessern, Menschenhandel in den Grenzregionen zu verhindern.

Die Menschenhändler haben die Lager in der vergangenen Jahren errichtet. Sie greifen Migranten auf, wenn diese mit Booten an der Küste landen, oder „kaufen“ sie von Sicherheitsbeamten oder Militärangehörigen an Kontrollpunkten. Sie verlangen Gebühren von den Migranten mit dem Versprechen, sie nach Saudi Arabien oder in andere Golf-Staaten zu bringen, um dort zu arbeiten. In den Lagern foltern die Schlepper die Migranten, um ihre Verwandten zu Hause oder Freunde, die schon im Ausland arbeiten, zu erpressen.

Abgesehen von einigen, von der Regierung angeordneten Razzien im Jahr 2013 haben die Behörden wenig getan, um den Menschenhandel zu verhindern. Stattdessen haben Beamte Schlepper oft vor Razzien gewarnt, sie nicht strafrechtlich verfolgt und diejenigen wieder freigelassen, die verhaftet wurden. In einigen Fällen haben sie Menschenhändlern aktiv dabei geholfen, Migranten gefangen zu nehmen und einzusperren.

Human Rights Watch hat 18 männliche Migranten aus Äthiopien und zehn Schlepper und Schmuggler befragt, darüber hinaus Regierungsangehörige, Aktivisten, Diplomaten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Mediziner und Journalisten im Zeitraum von Juni 2012 bis März 2014.

Die Migranten berichteten von grauenhaften Misshandlungen in den Lagern. Prügel sind an der Tagesordnung. Ein Mann schilderte, wie ein Schlepper ihm mit einer Wasserflasche ein Auge ausgestochen hat. Einen anderen haben die Menschenhändler an Drähten aufgehängt, die um seine Daumen gewickelt waren. Mit einer Schnur hängten sie eine volle Wasserflasche an seinen Penis. Die Zeugen berichteten auch, dass die Schlepper einige Migrantinnen vergewaltigt hätten, die sich in ihrer Gewalt befanden.

Ein Migrant war sieben Tage lang in einem Schleppercamp gefangen. „Sie haben meine Hände hinter meinen Rücken gebunden und mich auf den Boden gelegt. Dann haben sie mich mit Stöcken geschlagen“, erzählte Said und zeigte die Narben auf seinem Rücken. „Ich habe gesehen, wie die Wachmänner einem Mann ins Gesicht getreten haben, der am Boden lag, sie haben ihm die Zähne ausgetreten.“

Mitarbeiter von Hilfsorganisationen haben Zeichen von Misshandlungen an Migranten festgestellt, die zu den Berichten passen, dass Schlepper Fingernägel ausgerissen, Ohrknorpel verbrannt, Haut mit Eisen gebrandmarkt, Augen ausgestochen und Knochen gebrochen haben. Angestellte des Krankenhauses von Haradh bestätigten, dass sie sehr oft Migranten mit Risswunden behandeln, die durch Vergewaltigungen verursacht werden. Zudem trügen die Migranten Verletzungen, die dadurch enstünden, dass die Betroffenen an ihren Daumen aufgehängt und mit Zigaretten oder geschmolzenem Plastik verbrannt wurden.

Die Folter endet manchmal tödlich. Ein Migrant bezeugte, dass er Schlepper dabei beobachtet hat, wie sie den Penis eines Mannes mit einer Schnur abbanden und mit Holzstöcken auf ihn einschlugen, bis er vor seinen Augen starb. Ein anderer sagte, dass die Menschenhändler zwei Männer aus seiner Gruppe mit Äxten töteten. Schwer verletzte Migranten werden manchmal vor einem Einwanderungszentrum in Haradh abgelegt, das von der Internationalen Organisation für Migration betrieben wird.

Mit der Erpressung der Familien der gefangenen Migranten lässt sich gutes Geld im Jemen machen, das eines der ärmsten Länder im Nahen Osten ist. Migranten schilderteten, dass ihre Familienangehörigen und Freunde für ihre Freilassung Lösegelder in Höhe von umgerechnet 150 € bis zu mehr als 700 € bezahlt haben. Ein Schmuggler, der mit den Familien über die Lösegelder verhandelt, berichtete, dass er häufig 950 € pro Migrant erpressen konnte.

Schlepper, die jemenitische und afrikanische Migranten transportieren, zahlen standardisierte Schmiergelder an Beamte, um die Kontrollen in den Grenzregionen zu passieren. Aber die Beamten sind nicht nur bestechlich. Schmuggler und Migranten berichteten übereinstimmend, dass Wachmänner an einigen Grenzübergängen auf der Straße aufgegriffene Migranten gegen Bezahlung an Menschenhändler übergeben hätten.

Ein Migrant berichtete, dass er im August 2013 zusammen mit einem Freund aus einem Folterlager geflohen ist und dann von jemenitischen Soldaten an einem Kontrollpunkt in der Nähe von Haradh angehalten wurde. Während die beiden Brot und Tee serviert bekamen, machten die Soldaten einige Anrufe. Kurze Zeit später kamen zwei Männer in einem Auto, gaben den Soldaten Bargeld für die beiden Migranten und brachten sie in ein anderes Folterlager.

Sicherheitskräfte unterschiedlicher, staatlicher Behörden in Haradh sind offensichtlich am Menschenhandel beteiligt, darunter Polizisten, Militärangehörige und Geheimdienst-Mitarbeiter. Menschenhändler, Schmuggler und jemenitische Beamte gaben Namen von hochrangigen Regierungsvertretern preis, die ihren Angaben zufolge vom Menschenhandel profitierten. Zwei Beamte sagten darüber hinaus, dass die Schlepper sie geschmiert hätten, um von Razzien oder Verhaftungen verschont zu werden.

Am 20. Mai hat Human Rights Watch vom Verteidigungsministerium ein Antwortschreiben auf Fragen erhalten, die im April an das Ministerium gerichtet worden waren. Darin bestätigte das Ministerium die Entschlossenheit des Militärs, gegen die Folterlager vorzugehen, die bis jetzt lokalisiert werden konnten. Jegliche Mitwisserschaft der Regierung am Menschenhandel, darunter auch die Beteiligung von Sicherheitskräften an Kontrollpunkten, wurde jedoch zurückgewiesen. Zudem stellte das Ministerium fest, dass kein Regierungsvertreter wegen einer möglichen Mitwisserschaft am Menschenhandel angeklagt worden ist.

Von März bis Mai 2013 führten die jemenitischen Sicherheitskräfte eine Reihe von Razzien in den Lagern der Menschenhändler durch. Das Verteidigungsministerium erklärte, dass die Sicherheitskräfte die Razzien nicht weiter fortgesetzt hätten, weil sie nicht in der Lage waren, die Migranten nach ihrer Befreiung mit Nahrung zu versorgen oder ihnen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Beamte gaben zu, dass viele der Lager, die von den Sicherheitskräften geräumt worden waren, inzwischen wieder in Betrieb sind.

Ein Richter, der in Haradh mit weniger schwerwiegenden Fällen betraut ist, sagte, dass er bislang nur einen einzigen Prozess wegen der Misshandlung von Migranten erlebt und dass der Staatsanwalt ihn verpfuscht habe. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass umfassendere Anschuldigungen jemals vor das nahegelegene Strafgericht gebracht worden sind. Beamte des Innenministeriums und anderer Einrichtungen können keinen einzigen Fall nennen, in dem gegen Beamte disziplinarische oder strafrechtliche Maßnahmen wegen Zusammenarbeit mit Schleppern eingeleitet wurden. Die jemenitische Regierung hat die schweren Misshandlungen von Migranten durch Privatpersonen genauso wenig verfolgt wie die Beteiligung von Regierungsvertretern. Damit verletzte sie ihre Verpflichtung nach internationalen Menschenrechtsstandards, Menschen davor zu schützen, dass ihr Recht auf Leben und körperliche Integrität verletzt wird.

Grenzbeamte in Saudi-Arabien sind ebenfalls an der Misshandlung von Migranten beteiligt. Migranten, Schlepper und jemenitischen Beamten zufolge hielten sie Grenzgänger an und lieferten sie an Menschenhändler in Haradh aus.

Die jemenitische Regierung soll dringend eine umfassende Strategie entwickeln, um die Lager zu schließen, in denen Schlepper Migranten festhalten und misshandeln. Unter anderem soll sie Razzien durchführen und Menschenhändler sowie an ihren Aktivitäten beteiligte Beamte unabhängig von deren Rang strafrechtlich verfolgen. Die Regierung soll mit humanitären Organisationen zusammenarbeiten, um alle aus der Gefangenschaft befreiten Migranten angemessen zu verpflegen, unterzubringen und medizinisch zu versorgen.

Internationale Geber wie die USA, die Europäische Union, ihre Mitgliedstaaten und die Staaten des Golf-Kooperationsrates, darunter Saudi-Arabien, sollen die jemenitische Regierung auffordern, alle illegal betriebenen Hafteinrichtungen für Migranten zu schließen und die Zusammenarbeit von Sicherheitskräften mit Menschenhändlern zu beenden.

„Menschen, die dringend Arbeit brauchen und Schlepper bezahlen, geben damit nicht ihr Einverständnis dazu, unterwegs gefoltert und ausgeraubt zu werden“, sagt Goldstein. „Der Jemen darf Menschenhändler und deren Helfer auf keinen Fall tolerieren.“

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